Das neue Normal

Die Welt um uns schreitet in großen Schritten in Richtung “Normalität”. Endlich darf auch offiziell das getan werden, was die meisten sowieso schon nicht mehr gemacht haben. Masken dürfen fallen gelassen werden. Endlich werden diese armen, leidenden, aus ihrer Sicht jungen und gesunden Menschen nicht mehr eingeschränkt, zur Rücksichtnahme gezwungen oder gar noch schlimmer daran gehindert ihren Egoismus auszuleben.

Wie sieht dieses neue “Normal” für Senioren, Bewohner von Langzeitpflegeeinrichtungen, Menschen mit Behinderung, ambulant versorgte Menschen mit Pflegebedarf, Menschen in betreuten Wohnlagen und für die Menschen, die sich um alle gerade eben genannte kümmern, sie pflegen, aus?

Das jetzt berichtete basiert auf meiner Erfahrung und aus berichten aus meinem Umfeld. Belastbare, durch wissenschaftliche Erhebungen eruierte, Zahlen wird es erst in nächster Zeit geben.

Alle 3-6 Wochen

Betrachte ich mir die letzten Monate, dann kommt es, auch aufgrund von Lockerungen der Hygienekonzepte und sinkender Akzeptanz der Schutzmaßnahmen, auch durch die verbreitete Meinung, dass die Covid-Pandemie vorbei sei, immer wieder zu Sars-Cov2-Erkrankungen in Einrichtungen in der ich, oder Familienangehörige arbeiten. Verglichen mit dem Geschehen zu Beginn der Pandemie sind die jetzigen Ereignisse, wenn die Zahlen verglichen werden, jedoch deutlich weniger. Betraf es doch beim ersten Infektionsereignis, das ich miterlebt habe, innerhalb weniger Tage die komplette Einrichtung und führte dazu, dass infolgedessen über 15 Bewohner verstorben sind. Stand heute gelingt es bei aktuellen Infektionsereignissen die Zahl der erkrankten Menschen meist im einstelligen Bereich zu halten.

Das neue Normal

Nehmen wir einmal an, die letzten 3-4 Monate werden unser neues Normal. Dann bedeutet das: – alle 3-4 Wochen tritt ein Infektionsgeschehen mit 1-8 erkrankten Menschen auf – für mindestens einen erkrankten Menschen bedeutet dies eine rapide, sich nicht wieder bessernde Situation seines Allgemeinzustandes oder das Sterben infolge der Erkrankung – Für die oben genannten Menschen bedeutet dies, dass Gemeinschaftsaktionen, offene Mittagstische, und viele andere Zusammenkünfte mit mehreren Menschen eine deutliche Steigerung des Krankheitsrisikos, des Risikos danach einen deutlichen Lebensqualitätsverlust zu haben oder gar zu sterben. – für Menschen, die die Pflege für diese Menschen übernehmen, bedeutet dies auch regelmäßig, sich der Gefahr der Ansteckung auszusetzen. Was jedoch noch schwerwiegender ist. Es bedeutet, dass sie sich auf eine völlig neue Situation, auf eine neue Realität einstellen müssen. Akuter rapider krankheitsbedingter Abbau und damit verbundene Pflegemaßnahmen, psychosoziale Begleitung der Gepflegten und ihren Angehörigen und Sterben nehmen zu und müssen im Alltag bewältigt werden. – und was all diese Menschen gemeinsam ist. Ihr Schicksal, ihr neues “Normal” kommt in all den derzeitigen Diskussionen einfach nicht vor.

Der Wunsch nach einem Ende der Einschränkungen ist verständlich. Es ist verständlich, dass Maskenpflicht und, ach nein, das war ja noch die letzte einschränkende Maßnahme, mehr gab es ja schon nicht mehr. Also gut. Das verstehe ich alles. Trotzdem fände ich es auch fair und respektvoll, gleichzeitig klar zu benennen, dass dies für bestimmte Menschengruppen in unserer Gesellschaft negative Auswirkungen haben wird. Dass wir uns eingestehen müssen, dass wir keinen 100 % Schutz bieten können und die Freiheit der einen, für andere eben eine höhere Belastung bedeutet. Und es wäre nur fair gegenüber den Menschen, die diese Belastungen kompensieren versuchen, endlich mal den Respekt in Form von Taten, nicht nur hohlen Phrasen, entgegenzubringen. Den pflegenden Angehörigen, den Mitarbeiter:innen im Gesundheitssektor.